35 Jahre Wiedervereinigung, Harzklub-Festveranstaltung auf dem Brocken

Redeauszüge

Festveranstaltung des Harzklubs

35 Jahre Wiedervereinigung

3. Oktober 2025, Brocken, Wolkenhäuschen

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Und wie es eben Tradition geworden ist, treffen wir uns hier Jahr für Jahr am Tag der Deutschen Einheit.

 Diese Begegnung ist von unserem ehemaligen Hauptwegewart Hans-Dieter Harnisch begründet. Unter seiner Leitung wurden die Wanderwege im Grenzbereich nach 1989 wieder verknüpft. Die erste länderübergreifende Wanderkarte erschien bereits im April 1990. Er hat diese Veranstaltung über Jahre organisiert und im Wanderheim Torfhaus Menschen aus Ost und West zusammengebracht.

 

Liebe Wanderfreunde, aber ist Tradition hier überhaupt der richtige Begriff? Tradition ist die Weitergabe von Vergangenem, von Werten, von Bräuchen, von Praktiken. Und das von Generation zu Generation. Sie kennen den Satz: „Tradition heißt nicht die Asche zu bewahren, sondern das Feuer weiterzutragen“.

(…)

so ganz hinreichend ist der Begriff der Tradition deshalb nicht, wenn wir hier Jahr für Jahr auf Einladung des Harzklubs zu dieser Festveranstaltung am 03. Oktober auf dem Brocken zusammenkommen.

 

Wir pflegen hier mehr als eine liebgewonnene Tradition, wir pflegen Erinnerungskultur.  

Erinnerungskultur bedeutet die bewusste und aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Sie beinhaltet, wie die Vergangenheit erinnert, interpretiert und für die Gegenwart und Zukunft genutzt wird.

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Liebe Wanderfreunde, das Brockenplateau ist an der Stelle ein Gedenkort.

 

Natürlich haben wir bei Gedenkorten und Gedenkstätten sofort im Kopf, dass dies physische Orte sind, die Verbrechen der Nationalsozialisten und anderer Gewaltherrschaften wie der SED-Diktatur aufarbeiten, dokumentieren; Es sind Ort, wo Opern gedacht, und um sie getrauert werden kann.

 

Gedenkorte sind aber auch Orte, die an wichtige kulturelle Leistungen, Erfolge, Leistungen von Menschen erinnern. Ein solcher ist diese Brockenkuppe.

 

Dieser Berg ist mit 1.141 Metern nicht nur die höchste Erhebung in Norddeutschland

 

Dieser Berg ist nicht nur sagenumwoben, weil hier vermeintlich Hexen und Teufel ihr Unwesen treiben.

 

Dieser Berg steht auch nicht nur für Goethe, der ihn wenigstens viermal erklommen hat und dem Brocken mit der Walpurgisnacht-Szene in „Faust I“ ein literarisches Denkmal setzte.

 

Der Brocken ist noch mehr.

 

Der Brocken ist Symbol der Deutschen Einheit, weil er zu DDR-Zeiten militärischen Sperrgebiet war – unerreichbar für Menschen aus Ost und aus West.

 

Dieser Brocken ist deshalb ein Gedenkort,

weil er an den Kampf und den Mut für Freiheit und Demokratie erinnert.

 

Und die gemeinsame historische Auseinandersetzung ist so wichtig. Erinnerung ist ein Integrationsprojekt, das Bindung schafft, wo ökonomische und soziale Angleichung allein nicht ausreichen.

 

Mit anderen Worten:

Wer Einheit sichern will, muss Erinnerungskultur pflegen.

 

Natürlich ist diese Begegnung hier am 03. Oktober zunächst Ritual und zugleich identitätsstiftend für die Wanderfreunde des Harzklubs.

 

zugleich aber noch mehr

-      Uns begegnen und sprechen

-      Gedanken vertiefen

-      Diskutieren

-      Und in diesem Jahr die Festrede des Bundestagsvizepräsidenten hören. Herzliches Willkommen!

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Meine Damen und Herren,

 

Der Harzklub blickt hier oben regelmäßig – und nicht nur am 03. Oktober – dankbar zurück und pflegt Begegnungen und Miteinander.

 

Und nicht ganz ohne Stolz sage ich:

 Wir, die Wanderfreunde des Harzklubs, haben hier gemeinsam für das wiedervereinigte Deutschland und unsere Länder Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Thüringen mehr erreicht als viele wissenschaftliche Publikationen und Politikerreden vermochten.

 

Ost und West – sind wir ein Volk?

 

Meine Damen und Herren,

Jahr für Jahr gehen wir der Frage nach?

 

Sind wir nun weitgehend zusammengewachsen oder immer noch nicht?

 

Nach aktuellen FORSA Umfragen ist die Zustimmung zu dem Satz

„Wir sind weitgehend zusammengewachsen“

 

deutlich zurückgegangen: nur noch rund 1/3 stimmt dieser Aussage zu – das ist das Niveau der frühen 2000er Jahre.

 

Im Osten meinen nur 23 Prozent, dass Deutschland ein Volk geworden sei. Vor knapp 10 Jahren waren das noch nahezu 50 Prozent.

 

Meine Damen und Herren,

 

lassen Sie mich dazu mit Ihnen einen Gedanken teilen, den Sie gerne heute weiterdiskutieren dürfen – oder auch nicht.

 

Meine Position ist: Bleiben wir doch ungleich!

 

Das ist doch nicht ungewöhnlich.

 

Es ist nicht ungewöhnlich, wenn wir andere Regionen in Europa anschauen:

-      Nord- und Süditalien

-      Denken Sie an die völlig verschiedenen Regionen in Frankreich

 

Und das gilt doch selbstverständlich auch für Deutschland.

 

Es gibt Unterschiede in Strukturen und Mentalitäten.

 

Die gab es auch früher schon in der DDR.

 

Und heute erwarten wir von Bayern doch auch nicht, dass es so ist wie Schleswig-Holstein. Und wir erwarten schon gar nicht, dass Daniel Günther so ist und isst wie Markus Söder.

 

Beschäftigen wir uns doch lieber mit aktuellen Herausforderungen und unserer Heimat, des Harzes, unabhängig in welcher Gemeinde oder Landkreis oder Land wir leben:

·      Sachsen-Anhalt ist das Bundesland mit dem höchsten Anteil der Bevölkerung in Deutschland, die 55 Jahre oder älter ist.

·      Das demographische Problem, der Einwohnerverlust in unseren Städten und Gemeinden wirkt sich massiv negativ auf die Arbeit im Ehrenamt aus. Auch auf den Harzklub.

·      Und dieses demographische Thema wirkt sich zudem bei der Besetzung von Arbeitsangeboten aus, zum Nachteil der regionalen Wirtschaft.

·      Betrachten wir die Unterschiede zwischen Städten und ländlichen Regionen

·      Kümmern wir uns um kaputte Infrastrukturen – ein großes Thema hier ist aktuell der Investionsbedarf für die HSB. Und sicher ist: Das ist ein wichtiges Thema für uns alle, nicht nur für Sachsen-Anhalt, wenn wir die Bedeutung für den Tourismus betrachten.

 

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Meine Damen und Herren,

ich will strukturell bedingte Unterschiede zwischen Ost und West und Identitätskrisen, Brüche im Lebenslauf und Jobverluste nach 1990 nicht kleinreden.

 

Aber ich wünsche mir, dass Unterschiede auch verstanden und eingeordnet werden und ich wünsche mir so sehr, dass Leistungen der vergangenen 35 Jahre auch sichtbar gemacht, anerkannt und gewürdigt werden.

 

Wir leben in einem föderalen Staat. Unterschiede sind erlaubt, Die Vielfalt darf wertgeschätzt werden.

 

Und abzubauende Differenzen

-      Ob sozial

-      Ob wirtschaftlich

betreffen wahrlich nicht nur West- und Ost.

 

Statt Unterschiede als Spaltung zu sehen, können wir sie als Einladung verstehen – zur Begegnung, Verständnis und gegenseitigem Respekt.

 

(….) Einheit in Vielfalt

 

Der Harzklub gibt dazu weiterhin Raum und Orte,

 

dieser Begegnungstag am 03.10. auf dem Brocken gehört dazu,

 

 

 

Oliver Junk